Trauer verwandeln?
Es gibt nichts, was uns die Abwesenheit eines uns lieben Menschen ersetzen kann und man soll das auch garnicht versuchen; man muß es einfach aushalten und durchhalten; das klingt zunächst sehr hart, aber es ist doch zugleich ein großer Trost; denn indem die Lücke wirklich unausgefüllt bleibt, bleibt man durch sie miteinander verbunden. Es ist verkehrt, wenn man sagt, Gott füllt die Lücke aus; er füllt sie garnicht aus, sondern er hält sie vielmehr gerade unausgefüllt, und hilft uns dadurch, unsere echte Gemeinschaft – wenn auch unter Schmerzen – zu bewahren.
Ferner: je schöner und voller die Erinnerungen, desto schwerer die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Qual der Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne nicht wie einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich. Man muß sich hüten, in den Erinnerungen zu wühlen, sich ihnen auszuliefern, wie man auch ein kostbares Geschenk nicht immerfort betrachtet, sondern nur zu besonderen Stunden und es sonst nur wie einen verborgenen Schatz, dessen man sich gewiß ist, besitzt; dann geht eine dauernde Freude und Kraft von dem Vergangenen aus.
Quelle: Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung, DBW Band 8, Seite 255 f
Und danach?
Nach der Bestattung beginnt für Trauernde noch lange nicht der Alltag. Trauer braucht ihre Zeit. Wir laden deshalb alle Angehörigen am folgenden Sonntag zum Gemeindegottesdienst ein. Dort wird noch einmal der Name des Verstorbenen verlesen und für sie/ihn und die Trauernden gebetet. Ihre Pfarrer begleiten Sie gerne auch im weiteren Verlauf der Trauer. Sprechen Sie Ihre Pfarrerin/Ihren Pfarrer an und bitten sie/ihn um ein Gespräch! In manchen Gemeinden gibt es auch Gesprächskreise für Trauernde. Ihre Pfarrerin/Ihr Pfarrer berät Sie auch bei der Auswahl von hilfreicher Literatur.
Gedenken und Fürbitte
Am Ewigkeitssonntag (Sonntag vor dem 1. Advent) lädt Ihre Kirchengemeinde ganz besonders alle die Menschen ein, die im vergangenen Jahr einen Menschen verloren haben. Im Gottesdienst ist Gelegenheit, noch einmal zurückzuschauen und die Trauer in Gottes Hände zu legen. Es werden die Namen der Verstorbenen verlesen und für Kerzen entzündet. Dazu sind natürlich alle Angehörigen und Freunde willkommen. Das persönliche Gedenken kann den gemeinsamen Gang zum Grab, das Niederlegen von Blumen und ein Gebet mit einschließen.
Trauer hat heilende Kraft
Ich kann mir denken, dass du lange Nächte schlaflos liegst, unerträglich lange Nächte. Dann ist es gut wenn du dir sein Bild klar vor dein inneres Auge stellst, das Bild, das du in glücklichen Tagen von ihm hattest, als er dir besonders nahe erschien, als etwas besonders Schönes gelang, als du besonders groß von ihm dachtest. So bildet sich in deiner Seele ein Raum, in dem du wohnen kannst und in dem vielleicht auch der Schlaf gelingt. Auch kann ich mir denken, dass du manchen Morgen mit Angst beginnst.
Wie solltest du auch alles plötzlich allein können, was ihr bisher gemeinsam bedacht und entschieden habt. Aber darin gerade liegt zu einem Teil der Sinn des Trauerns: Dass du mit ihm sprichst wie früher und alle die Gespräche wiederkehren, alle die Entscheidungen. Dass die Kraft die ihr gemeinsam hattet, zurückkehrt und dich erfüllt.
Du denkst: Ach, es war doch vieles nicht so, wie es hätte sein können oder sein sollen. Gedanken an Versäumen und Versagen und Verschulden liegen da unten. Sie ziehen hinab in die dunkle Tiefe, sie hängen an dir. Was tust du mit ihnen? Du weißt, dass wir alles, was geschehen ist, Gott in seine Hand legen dürfen. Ihn bitten: Nimm zu dir, was war und worunter ich, so lange danach, noch immer leide. Es ist gut, immer wieder Erinnerungen aufzusuchen, mit anderen zusammen alte Geschichten auszugraben. Fragen: Weißt du noch? Bilder auszukramen. Das ist gut: sich erinnern, dankbar für viel Schönes, Freundliches und Schmerzliches auch, das man gedacht hat, erlebt und empfunden. Erinnern hilft uns, zu sehen, aus welcher Vergangenheit wir kommen, und dann den Weg zu suchen, der weiterführt. Denn wenn früher so viel gütige Führung war,- sollten wir ihr nicht auch künftig vertrauen? Wenn die fröhliche, gesunde Kraft von früher freundliche Gabe Gottes war, sollte dann nicht auch künftig eine Quelle sein, aus der Kraft kommt?
Da leben wir eingefangen in Rätsel, in Leid und Angst und - vor allem - Schuld. Dann schließen wir die Augen, gehen durch einen schimmernden Durchgang, und am Ende erwartet uns das Licht. Und wir werden - auferstehend - verwandelt werden in das Bild, das Gott meinte, als er uns schuf. Dass aber dieses Bild sich abzeichnet, das geschieht uns schon hier, immer wieder. Du wirst nicht vergessen und doch wissen, dass alles ein Ziel hat und am Ende das Licht sein wird. Für mich ist die Welt, in die wir im Tode hinübergehen, so wirklich, wie diese es ist. Christus lebt. Die wir für tot halten, leben. Und wir: du und ich, werden auch weitergehen. Mit neuen Aufgaben, wie ich mir denke. So verkehrt sich das Verhältnis von Leben und Tod. Nicht das Leben währt, bis der Tod es beendet, sondern wir sind unter der Herrschaft des Todes, bis wir frei sind und ins Leben treten, hinüber in einen anderen Raum und eine andere Zeit.
Und das wird sein, bis ein neuer Himmel und eine neue Erde sich verbinden »wie eine Braut mit ihrem Mann«. Das Ziel aber ist das Gottesreich, »in dem kein Leid mehr sein wird und kein Geschrei und die Tränen abgewischt sein werden von unseren Augen«.
In der Tat: Die Liebe, die du in langen Jahren gegeben hast, kommt in der Trauer zu dir zurück und gibt dir die Kraft, die du brauchst, um lebensfähig zu bleiben. Unter Christen reden wir vom Geist Gottes. Wir meinen: Wer den Weg durch das Leiden mit Christus geht, empfängt eine Kraft, die ihm nun hilft, im Vertrauen auf dieser Erde zu stehen. Der Geist ist der Tröster, sagt Jesus.
(aus Jörg Zink: Trauer hat heilende Kraft. Ein Besuch, wenn alle gegangen sind)
Trösten kann, wer selbst Trost gefunden hat in seinem Leiden, nicht an einem besonderen Schicksal vielleicht, sondern am Dasein überhaupt, wie es ist und wie es in seiner Gänze ist. Trösten kann, wer dabei das Dasein in seiner Gänze umfangen gesehen hat von einer großen, ernsten und strengen Liebe, die hinter allem Schicksal am Werk ist. Trösten kann nicht, wer irgend etwas besser weiß, sondern der weiß, dass es nichts gibt, das besser zu wissen wäre, und der sich dem anvertraut, den er hinter dem Schicksal glaubt. Trost ist auch nichts, was einmal ausgesprochen für alle Zeiten gelten will.
Trost ist eine Insel in einem Meer der Verzweiflung. Eine Insel im Meer der Zeit. Es ist ein Augenblick, indem ein Mensch Boden unter den Füßen empfindet, ehe das Wasser ihn wieder zu verschlingen droht. Trost ist, dass es solche Inseln gibt. Worte und Zeichen wie Inseln.
Jörg Zink