Die Güte des HERRN ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.
Klagelieder 3, 22
Eine lange, fast endlose Klage geht dem Monatsspruch voraus. Einer zählt auf, was er erleben muss: Er sitzt in der Finsternis, die Haut wird faltig und er selber bitter. Wie von Steinen vermauert scheinen alle Wege aus der Not. Da klagt er Gott an: Du hast mir das angetan, hast mir aufgelauert, mich zum Gespött gemacht und aus dem Frieden vertrieben. Dann ein kleines Gebet: Denk an mich! Sieh mich an!
Und plötzlich der Monatsspruch, wie ein Wendepunkt: „Die Güte des HERRN ist’s, dass wir nicht gar aus sind, …“ Als habe sich das Gefühl, von Gott verlassen und vergessen zu sein, in Vertrauen gewandelt.
Was hat diese Wende ausgelöst? Man könnte denken, es sei das kleine Gebet gewesen. Vielleicht war es so. Im Moment, in dem ich aus der Anklage eine Anrede mache, spüre ich schon: Er könnte ja doch noch da sein, der Gott, von dem ich mich beinahe abgewandt hatte. Er, dem ich mein Elend vorgeworfen habe, vielleicht hat er doch Gutes im Sinn?
Aber eigentlich glaube ich, dass etwas anderes eine ebenso wichtige Rolle gespielt hat.
Dass der Betende alles, wirklich alles, was ihm auf der Seele lag, aussprechen durfte. Niemand hat ihm den Mund verboten, als er Gott anklagte, ja, gar beschimpfte.
Auch Gott selbst hat sich nicht verteidigt, hat ihn nicht in die Schranken gewiesen: „Was fällt dir ein?“ Und dann, als alles, jede Frage und jede Klage, zum Himmel geschrien ist, da ist es, als ob eine Mauer zerbröselt, die Gott verstellt. Dahinter wird er ganz neu erkennbar: als Liebender, der Zukunft schenkt.
Tina Willms