06.05.2022
EKD-Präses Heinrich und EKD-Ratsvorsitzende unterstützen inhaltlich Waffenlieferungen an die Ukraine. Heinrich Bedford-Strohm fordert eine Weiterentwicklung der evangelischen Friedensethik.
Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, hält Waffenlieferungen an die Ukraine für gerechtfertigt. Das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine sei unbestritten, sagte Heinrich in einem Interview im Deutschlandfunk. Gerade ihrer Generation falle es schwer, in Worte zu fassen, was derzeit in der Ukraine passiere. Auch die christliche Friedensethik stehe nun vor Diskussionen.
Zum ökumenischen Dialog zwischen EKD und der Russischen Orthodoxen Kirche sagte Heinrich, die in Regensburg lebt und auch Mitglied der bayerischen Landessynode ist: „Nein, wir brechen Gespräche zur Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und auch zur Russischen Orthodoxen Kirche nicht ab.“ Der Moskauer Patriarch Kyrill I. hatte sich hinter Russlands Präsident Wladimir Putin gestellt und den Krieg als Verteidigung „traditioneller christlicher Werte“ befürwortet.
Zur Debatte um eine Neugestaltung der evangelischen Friedensethik als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine sagte Heinrich: „Wir hatten ja bis jetzt auch keine perfekte Antwort, sondern es ist immer eine Spannungsbeschreibung. Und ich glaube, genau darin liegt ja auch der Wert einer christlichen Reflexion von solchen Situationen, dass wir nicht die perfekte Antwort liefern, sondern eher dabei helfen, in aller Spannung irgendwie handlungsfähig zu bleiben.“
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, unterstützt die Entscheidung der Bundesregierung zur Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine. Zwar habe sie „höchsten Respekt vor allen, die für sich selbst auf die Option der Gewaltlosigkeit setzen“, sagte die westfälische Präses dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“: „Aber ich erkenne die jetzt beschlossenen Waffenlieferungen als Mittel an, die Ukraine bei ihrem Überlebenskampf zu unterstützen.“ Wo ein Land und seine Menschen wie in der Ukraine rohe Gewalt und blankes Unrecht erführen, hätten Menschen alles Recht, sich zu verteidigen. Und sie hätten das Recht, um Hilfe zu bitten, auch um Hilfe zur Selbstverteidigung, fügte Kurschus hinzu.
Zugleich verwies Kurschus auf die wachsende Sorge, dass mit einem Mehr an Waffen auch mehr Krieg gesät werde: „Das Recht wiederherzustellen und echten Frieden zu gewinnen: Das vermögen Waffen allein nicht.“ Ohne eine politische Strategie, die den Einsatz der Waffen begleite, werde es kein „Danach geben, in dem wir wieder gut miteinander leben können“. Sie verwies auf Probleme, die nicht mit Waffen gelöst werden könnten. „Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die Klimakrise pausiert nicht, aber die internationale Arbeit an diesem Menschheitsproblem derzeit anscheinend schon. Und in vielen Ländern werden Menschenleben sehr bald nicht von Panzern und Gewehren, sondern von leeren Tellern bedroht sein“, sagte die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen.
Der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, fordert nach dem russischen Angriff auf die Ukraine eine Weiterentwicklung der evangelischen Friedensethik. Die Orientierung am „gerechten Frieden“ bleibe auch jetzt richtig, heißt es in einem Gastbeitrag des bayerischen Landesbischofs für die „Herder Korrespondenz“ (Mai). Es bleibe auch richtig, „dass wir uns damit von der 'Lehre vom gerechten Krieg' verabschiedet haben. Denn Krieg ist immer eine Niederlage.“ Militärische Gewalt sei nie „,gerecht‘, sondern schrecklich“, fügte der Sozialethiker Bedford-Strohm hinzu. Aber es könne eben auch Situationen geben, in denen der Verzicht auf sie noch schrecklicher sei.
Der gemeinsame Wunsch, dem Leiden endlich ein Ende zu setzen, verbinde alle Positionen. Zu deutlich sei die Einsicht, dass Gewalt nie Frieden schaffe, sondern bestenfalls Räume dafür wieder öffnen könne, dass er sich entwickeln könne. Allerdings habe die evangelische Friedensethik nie eine unpolitische Ausprägung entwickelt, die sich den „Dilemmafragen“ konkreten politischen Handelns einfach entziehen würde, entgegnete Bedford-Strohm auf entsprechende Kritik: „Während die Kriterien für den Einsatz militärischer Gewalt in der evangelischen Friedensethik längst entwickelt waren, sind die Konsequenzen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine neu zu bedenken.“
Nach wie vor bleibe „die drastische Unterfinanzierung ziviler Möglichkeiten, menschliches Leben zu retten, ein moralischer Skandal“, kritisierte Bedford-Strohm: „Noch immer sterben jeden Tag weltweit um die 20.000 Menschen, weil sie nicht genug Nahrung oder Medizin haben.“ Es sei zu befürchten, dass die Zahl nach Pandemie und Ukraine-Krieg sogar wieder wachse.
Quelle: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit/Publizistik (P.Ö.P) der ELKB
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