21.12.2023
„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“ 1. Korintherbrief 16,14 (Einheitsübersetzung)
Liebe Gemeinde,
Bei „Liebe“ verdrehen manche die Augen. Die christlichen Kitschnudeln sind wieder unterwegs… immer „Liebe, Liebe, Liebe“. Und von der romantischen Liebe sind Menschen heutzutage nicht selten enttäuscht. Ehen und Paarbeziehungen scheitern nicht selten, oder geraten zeitweilig in Seenot. Zweifel kommen auf an der Idee. Das Gefühlige dieses Wortes kann Menschen auch stören. In der Jahreslosung ist aber kein Gefühl gemeint.
Mit Liebe ist hier nicht die romantische Liebe gemeint, die Liebe von Liebespaaren. Vielmehr ist Liebe die Kraft, die die Gemeinschaft zusammenhält - und sie ist in besonderer Weise die Zuwendung zu denen, die Hilfe benötigen. Manchmal wird darauf hingewiesen, dass hiermit ursprünglich Zuwendung von Oben nach Unten, von Stärkeren zu Schwächeren gemeint ist. Heute sprechen wir aber davon, dass Menschen einander auf Augenhöhe begegnen. Wer hilft, hat etwas davon - und lernt häufig etwas dabei. Dann ist das keine Einbahnstraße und nicht herablassend, sondern für beide, für alle gut.
Vor kurzem hat mir ein Mitglied unseres Besuchsdienstes gesagt, sie erlebe im Seniorenheim die schönsten Gottesdienste. Wir hatten gerade das Abendmahl miteinander gefeiert und einen weihnachtlich gefärbten Adventsgottesdienst. Da geht alles weniger geordnet zu, am Anfang erzählen die Bewohnerinnen spontan, wie es ihnen geht oder was in ihrem Leben so los war (in diesem Fall waren - außer dem Pfarrer - nur Frauen bei dem Gottesdienst). Beim Gottesdienst helfen wir beim Aufblättern der Lieder in den Heften, und viele singen aus dem Gedächtnis mit. Spürbar ist, dass es im Heim nicht immer einfach ist. In die Heime gehen Menschen heute meist spät. Sie benötigen Pflege, Unterstützung, sind eingeschränkt in ihrem Bewegungsradius, in ihren geistigen Möglichkeiten. Die, die Besuche machen, ziehen daraus auch viel für sich selbst. Wenn jemand ein Strahlen auf den Gesicht hat oder jemanden zum Reden hat über Leben und Lebensgeschichte, Gefühle und Erlebnisse, dann kommt das auch bei der oder dem Besuchenden an. Es tut gut, wenn wir erleben, dass wir anderen etwas Gutes tun. Das gilt auch für vieles andere, wenn wir jemandem zuhören, die oder der gerade Kummer oder Freude erlebt. Wenn wir an Weihnachten für Brot für die Welt gesammelt haben und Anteil nehmen an den Schicksalen, uns informieren über die Arbeit der Hilfsorganistionen, uns solidarisieren mit Menschen in ärmeren Ländern. Überhaupt, immer, wenn wir Gutes tun, tun wir das auch für uns. Das ist auch Okay so.
Ein Gefühl ist nicht gemeint, es kommt aber hinzu. Liebe - man könnte auch Zuwendung sagen - ist ganzheitlich. Es ist zunächst - das weiß Paulus ganz genau - die Kraft, die uns in Gott, in Christus verbindet. Er spricht oft davon, dass wir in Christus „hineingetauft“ sind. Wir sind „in“ Christus. Christus ist der Leib, ist Körper, Seele, Geist, ein Ganzes. Wir sind dann seine Glieder, seine Hände, seine Ohren… Wir sind Teile, und in der Gemeinde, in der Kirche, bilden wir ein Ganzes. Dabei sind wir alle sehr unterschiedlich. Mal benötigen wir auch Hilfe, mal können wir geben. Paulus hat etwa für die Gemeinde in Jerusalem um Petrus eine Kollekte gesammelt. Das waren ja unter anderem Fischer und Bauern aus Galiläa, die in der Stadt Jerusalem offensichtlich auf wirtschaftliche Unterstützung angewiesen sind. Zugleich sind diese die „Gründer“ und „Gründerinnen“ der ersten Gemeinde, die da in Jerusalem war, von ganz besonderer Bedeutung - einige von Ihnen gehörten zu den Jüngern und Jüngerinnen Jesu. Die Zusammengehörigkeit aller Christinnen und Christen in den Gemeinden von Jerusalem über Syrien bis Rom - darum ging es Paulus. Alle sind „in Christus“.
Zuwendung im Geist der Liebe ist gemeint. Eine praktische Haltung. Das kann dann auch auf die Liebe von Paaren übertragen werden. Das kann dann ganz anders auch Arbeit bedeuten - Versöhnung, wo Streit herrscht, Unterstützung, wo Mangel da ist… Liebe ist von Gefühlen, dem Gefühl der Freundschaft oder eben auch der romantischen Liebe, von Gemeinschaftsgefühl begleitet. Aber sie ist hier eben auch Handeln. Sie fließt aus der Liebe Gottes zu uns. Das ist die Quelle. „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott ihn ihm.“ heißt es im ersten Johannesbrief (1. Johannesbrief 4,16). Besser kann man es nicht zusammenfassen.
Dieser Vers steht also über dem neuen Jahr. Ich wünsche mir, dass er uns auch in den kleinen Momenten des Alltags einfällt. Wenn ich die Geduld verliere. Wenn ich bequem oder übellaunig bin. Wenn ich wenig Nachsicht habe mit den Eigenheiten, den Fehlern der oder des anderen.
Ich wünsche uns, dass er uns auch in den großen Vorhaben begleitet. Uns hilft, für Gottes Frieden und Gerechtigkeit einzustehen, für seine Barmherzigkeit, sein … Liebe. Da wo wir stehen, mit unseren Mitteln.
Ich wünsche Ihnen, liebe Gemeinde, ein gesegnetes Jahr 2024 voller Liebe!
Herzlich, Ihr Pfarrer Roland Wicher