29.12.2021
Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. (Johannes 6,37)
Geheimnisvolles liegt in Stefanie Bahlingers Grafik. Eine geöffnete Tür weckt meine Neugierde: wer hat sie geöffnet und für wen? Ich sehe nur einen kleinen Ausschnitt des Raums dahinter. Niemand da? Wer und was erwarten mich, wenn ich mich nähere? Darf ich eintreten? Auf einem Tisch liegt ein Brot, dicht daneben steht ein Glas Wein. Für wen? Der Tisch ist nur angedeutet, wirkt schwebend. Sonst sind keine Möbel zu sehen, weder ein Schrank noch Stühle, auch keine Rückwand.
Nur warmes, einladendes Licht, das von hinten in den Raum fällt und sich nach außen hin ausbreitet. Woher kommt es? Der Lichtkegel sieht aus wie ein Weg. Der Zutritt ist barrierefrei, der Eintritt frei - kein „Türsteher“, keine Kontrolle. Bleibt die Tür offen oder fällt sie irgendwann ins Schloss? Ein überdimensionaler goldener Schlüssel in Form eines Kreuzes baumelt an einer Kette von oben herab. Das Kreuz als Schlüssel zum Leben … Beim genaueren Hinsehen entdecke ich auch auf dem Brot ein zartes goldenes Kreuz. Ebenso könnte das Rot des Weines im Kelch mit dem Rot am linken Türrahmen korrespondieren.
Der Ort scheint zwischen Himmel und Erde zu schweben. Wo finde ich diesen Raum mit seiner geheimnisvollen Weite, diesen Ort, an dem ich mich zuhause und geborgen fühlen könnte? Ist es ein Sehnsuchtsort, der sich überall auftun könnte, vielleicht sogar in meinem Herzen? Mir scheint, als habe uns die Künstlerin in ihrer symbolreichen Grafik nicht nur einen Ort, sondern zugleich den Gastgeber selbst vor Augen gemalt, der uns zu sich einlädt und verspricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.
Das Gefühl, vor einer Tür zu stehen und nicht zu wissen, wer einen wie empfängt und was einen dahinter erwartet, kennen wir. Jede Tür kann andere Gefühle in uns auslösen. Stehen wir vor dem Amtszimmer einer Behörde, der Haustür von Freunden, der Sprechzimmertür einer Arztpraxis oder stürmen gleich unsere Kinder oder Enkel herein? Unzählige „Türmomente“ erleben wir im Laufe unseres Lebens – hinter und vor Türen. Wunderschöne und unangenehme. Türen können trennen und verbinden. Meist hängt es von beiden Seiten ab – vor und hinter der Tür.
Auch Jesus und die Menschen um ihn herum kennen „Türmomente“. An solche Erfahrungen knüpft Jesus an, wenn er zu ihnen sagt: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Dieses Mal haben sie auch keine Fahrt über den See Genezareth gescheut, um ihn zu sehen. Sie haben am Tag davor erlebt, wie Jesus mit fünf Broten und zwei Fischen über fünftausend Menschen satt machte. Wenn der nicht der längst verheißene Prophet, der Messias ist, auf den schon ihre Väter und Mütter hofften, wer denn dann? Was hindert sie daran, ihn sofort zu ihrem König zu machen?
Doch Jesus entweicht auf die andere Seite des Sees nach Kapernaum. Vergeblich! Die Nachgereisten bestürmen ihn mit Fragen wie: „Was müssen wir tun, um Gott zu gefallen? Welche Zeichen kannst du uns noch liefern, damit wir deinen Worten glauben können? Liefere uns den Beweis!“ Jesus weicht ihren Fragen nicht aus. Seine Antworten gipfeln in einer schlichten und zugleich provozierenden Behauptung: „Vor euch steht die Antwort auf alle eure Fragen: Ich bin`s! Ihr habt doch meine Worte gehört, meine Taten gesehen und glaubt mir trotzdem nicht! Wo ich bin, findet ihr Gott. Kommt zu mir, vertraut mir, nur ich kann euren Hunger und Durst nach Leben stillen. Sogar über dieses Leben hinaus!“
Gott zieht es zu uns Menschen und er setzt alles daran, uns zu sich zu ziehen. Doch er zwingt sich nicht auf. Wer sich ziehen lässt, dem gilt Jesu Zusage: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Was für ein Angebot, was für eine Einladung! Und doch hält sich die Begeisterung vieler Menschen damals wie heute in Grenzen. Oft bleibt sie ungehört oder landet ungelesen im Papierkorb. Vielleicht auch weil sie den Gastgeber nicht kennen und sich lieber in ihren vertrauten vier Wänden aufhalten. Wie gut, dass die Tür Tag und Nacht geöffnet bleibt und Jesus keiner Frage ausweicht, jedes Gebet hört. ER hält es auch aus, wenn wir gerade viel Wichtigeres zu tun haben, als uns mit IHM und seiner Einladung zu befassen. Nur wenn ich Jesu Einladung folge, lerne ich seine Gastgeberqualitäten kennen. ER hört nicht auf, jede und jeden unermüdlich persönlich einzuladen. Ein Gebet kann schon ein erster Schritt sein. – ER wartet …
© www.jahreslosung.eu Auslegungstext: Renate Karnstein
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