04.03.2023
Margot Käßmann, Annette Kurschus und Petra Bahr im Diskurs über das sog. "Manifest des Friedens"
Käßmann: „Ich bleibe Pazifistin“
Die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann hat in einem Gastbeitrag für die Internetseite des Sonntagsblattes ihre Unterschrift unter das kritisierte „Manifest für den Frieden“ verteidigt. Die Petition, die von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer gestartet wurde, fordert einen sofortigen Waffenstillstand im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und ein Ende der Waffenlieferungen. Gerade die Feindesliebe sei wohl das Schwerste, „was Jesus uns hinterlassen hat“, zitiert die Theologin den Friedensnobelpreisträger Martin Luther King. „Aber wir können es doch nicht einfach ignorieren, wenn wir uns als Christinnen und Christen verstehen“. Die Kirchen der Welt seien immer in die Irre gegangen, wenn sie Krieg und Gewalt legitimiert hätten, so Käßmann.
Es habe in ihrer Kirche immer unterschiedliche Auffassungen zur Beteiligung an Kriegen gegeben, schreibt Käßmann. Sie selbst bleibe bei einer pazifistischen Haltung, „weil ich sie vom Evangelium her als geboten sehe“. Sie müsse hinnehmen, dass Pazifistinnen als naiv, ahnungslos und dumm gelten würden. Aber aus ihrer familiären Erfahrung mit dem Wunsch, dass zukünftige Generationen ohne Rüstungsexzesse aufwachsen können, bleibe sie Pazifistin. „Dazu gehört für mich die Demut, zu wissen, dass ich auch durch eine pazifistische Haltung schuldig werden kann“, schreibt sie. Aber Waffen würden immer Menschen töten. Deshalb könne sie einem Plädoyer für Waffen nicht zustimmen.
Käßmann kritisiert in dem Beitrag den russisch-orthodoxen Patriarch Kyrill, der Waffen segne und erkläre, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine diene der Verteidigung christlicher Werte. „Das Bild von Putin mit der Osterkerze in der Hand im Gottesdienst 2022 ist ein Sinnbild für diese Verkehrung christlicher Grundüberzeugungen“, erläutert die Theologin.
Kurschus: Einsatz von Waffen nur für Ende der Gewalt
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, kritisiert mit Blick auf den Ukraine-Krieg radikalen Pazifismus. Rechtserhaltende Gewalt sei gemäß der Friedensethik unter bestimmten Bedingungen legitim, sagte die westfälische Präses der „Berliner Zeitung“. „Wir können die Angegriffenen ja nicht schutzlos lassen, wenn sie mit Raketen beschossen, ihres Landes beraubt, vergewaltigt und verschleppt werden.“ Der Einsatz von Waffen müsse aber „zum Ziel haben, die Waffen zum Schweigen zu bringen“. Hinter dem Einsatz von Waffen müsse eine „Strategie zu Verhandlungen“ stehen, erklärte die EKD-Ratsvorsitzende. Gespräche dürften nicht auf der Grundlage geführt werden, dass die territoriale Integrität des angegriffenen Staates infrage gestellt werde. Verhandlungen müssten „auf Augenhöhe“ geführt werden.
Kurschus betonte, Waffen und Verhandlungen schlössen einander nicht aus. Der Einsatz von Waffen sei notwendig, um die Menschen in der Ukraine zu schützen und Russland die Erwartung zu nehmen, es könnte die Ukraine erobern. Doch müssten Verhandlungen über einen Waffenstillstand das Ziel sein. Russen dürfen dabei laut Kurschus nicht pauschal als Handlanger von Präsident Wladimir Putin betrachtet werden. Es gebe auch Stimmen in der russisch-orthodoxen Kirche, die den Krieg sehr kritisch sähen. Das Moskauer Patriarchat und Patriarch Kyrill unterstützten den Krieg jedoch und verbrämten ihn religiös. „Man kann das geistlich-geistige Mittäterschaft nennen“, sagte die EKD-Ratsvorsitzende: „Was ich für unerträglich halte, ist die Ideologie, die Kyrill vertritt: Wir kämpfen im Namen Gottes. Ich halte das für gotteslästerlich.“ Sie plädierte gleichwohl für die Aufrechterhaltung der Kontakte zur orthodoxen Kirche in Russland.
Theologin Bahr kritisiert Käßmann wegen Ukraine-Manifest
Gegen die Forderung der Theologin Margot Käßmann, keine Waffen mehr in die Ukraine zu liefern, regt sich Widerspruch aus der evangelischen Kirche. In einem Streitgespräch zwischen der ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Regionalbischöfin Hannovers, Petra Bahr, in der Wochenzeitung „Die Zeit“ kritisierte Bahr Käßmanns Position. So furchtbar es sei, es brauche Waffen, damit Putin merke, dass er mehr zu verlieren habe, wenn er sich nicht aus der Ukraine zurückziehe, sagte Bahr. Das „Manifest für den Frieden“, das die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die Publizistin Alice Schwarzer initiiert hatten und zu deren Erstunterzeichnerinnen Käßmann gehört, nannte Bahr ein „Manifest der Unterwerfung“. Es gehe darin nur um deutsche Befindlichkeiten: „Der Aggressor wird gar nicht adressiert, Kriegsverbrechen und der Überlebenskampf der Ukrainer werden hintangestellt.“ Pazifismus finde sie zwar beeindruckend, sagte Bahr – als Haltung gegenüber selbst erlebter Gewalt. Man könne das aber nicht anderen auferlegen.
Käßmann entgegnete, es verstöre den Angreifer, wenn der Angegriffene die andere Wange hinhalte, weil er das nicht erwarte. So zwinge man den Aggressor, aus der Logik des Kriegs herauszutreten, nur so werde die Gewaltspirale unterbrochen. Gerade wegen der Brutalität des Kriegs in der Ukraine trete sie für Verhandlungen ein.
Bahr, die auch Mitglied des Deutschen Ethikrats ist, wies darauf hin, dass bislang alle Verhandlungsansätze „an den neoimperialen Machtgelüsten Putins gescheitert“ seien. Anerkennend äußerte sich die Regionalbischöfin zu Käßmanns Distanzierung von der Demonstration am 25. Februar, zu der unter anderen Wagenknecht aufgerufen hatte. Käßmann begründete ihre Entscheidung dazu nochmals im Streitgespräch: „Wer sich für Frieden einsetzt, muss sich klar von nationalistischen und menschenfeindlichen Personen und Gruppierungen abgrenzen.“
Quelle: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit/Publizistik (P.Ö.P) der ELKB
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